Gruppenliegen (2)
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Die Hängematte war neben den Büchern auf der Toilette und dem Sofa in der Küche eine der Strategien zur Umdeutung der Wohnung. Und sie ist inzwischen so sehr ein Symbol geworden für das Faulenzen, die alternativen Lebensentwürfe, so sehr Metapher - man könnte glatt vergessen, dass die Hängematte auch ein reales Möbelstück ist.
Es gibt sie in der mexikanischen Netztechnik und in der brasilianischen Tuchtechnik, mit angenähtem Moskitonetz und aus Fallschirmseide. Sie sieht zusammengefaltet mickrig aus. Hält was aus. Ist transparent. Zusammen sind die Fäden stark. Ihr Charme ist, dass sie unterschätzt wird: Die stärksten mexikanischen Netzmatten sehen noch immer dünner aus als ein Einkaufsnetz, halten aber 900 Kilo.
Auf einem Balkon in Basel schläft in diesem heißen Sommer Nacht für Nacht eine Schweizer Wissenschaftlerin, 63 Jahre alt, in ihrer mexikanischen Netzhängematte. Tag für Tag denkt sie über die Hängematte nach, und das schon seit gut 30 Jahren. Es gibt eigentlich keine Vordenker auf dem Gebiet der Hängematte, keine ausgewiesenen Experten, nicht einmal selbst ernannte. Außer Annemarie Seiler-Baldinger. Ihr Bett hat sie "nur noch aus klimatischen Gründen". Sie schreibt, liest und telefoniert in der Hängematte, "nur die Liebe funktioniert dort nicht gut". Die Ethnologin ist 30 Jahre auf Forschungsreisen gewesen in Kolumbien, Peru und Venezuela. Sie kann inzwischen an unterschiedlich geknüpften Knoten die Stammeszugehörigkeit erkennen. Die Indianer, sagt sie, verbringen ihr ganzes Leben in der Hängematte. Jeder hat seine eigene, es ist der einzige persönliche Rückzugsraum, und darin liegen bedeutet: Störe mich nicht. Erst wenn eine Matte kaputtgeht, wird eine neue gemacht, man hält sie nicht auf Vorrat, sie sind nicht austauschbar, und wenn die Indianer sterben, werden sie in ihre Matte gewickelt und begraben. Gebären die Frauen ein Kind, schneiden sie in die Hängematte ein Loch.
Daraus ergeben sich natürlich Fragen: Blickt anders auf die Welt, wer sie durch ein Loch in der Hängematte betreten hat? Ist ein anderer Mensch, wer regelmäßig baumelt? Entstand in der beschwörenden, rhythmischen Schaukelbewegung der magische Realismus? Und umgekehrt: Wäre der magische Realismus ohne Hängematte denkbar? Gabriel García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit" ohne Hängematte? Nein! Im Roman funktionierte sogar die Liebe hängend sehr gut.
Aber schon im 19. Jahrhundert war die Hängematte in Europa ein fragwürdiges Faulenzer-Möbel, ähnlich gefährlich für die Moral wie die Ottomane. Der Dichter Victor Hugo beschreibt in "Sara" eine Badende, die in einer Hängematte über einem Brunnen schwingt. Gemächlich schaukelnd, so schön, dass der Alabaster errötet, aber träge und faul.
Das Problem, das Europa mit der Matte hat, ist eher ein psychologisches, sagt Seiler-Baldinger, die ein bisschen in Rage geraten kann, wenn sie über das "rechteckige Denkschema" von Menschen spricht, die mit der "Sturheit des Europäers" in ihren Kästen schlafen. Was ist das Problem? Es sei die fehlende Fähigkeit zur Hingabe. Schwebezustände machten dem Europäer Angst. Es ist ein bisschen besser geworden, sagt die Schweizerin, seitdem Trägheit "Wellness" heißt und in "Spas" stattfindet. Jeder darf jetzt dort konsumfördernd entspannen und dabei auch in einer Hängematte liegen.